Die Handtasche

 

Wenn meine Freundin Suse aus dem Münsterland nach Frankfurt kommt, steht meistens ein Plausch im Café Libretto in der City an. Kuchen essen, Kaffee trinken – und natürlich Neuigkeiten austauschen – was sonst? Nicht so beim letzten Mal. Als Suse um die Ecke biegt, stehen ihre Locken wild zu Berge. „Ich habe meine Handtasche in der Straßenbahn liegenlassen“, stößt sie hervor und berichtet, wie sie mit zwei Taschen voller Bücher und ihrer Handtasche mit der 18 aus Sachsenhausen losgefahren war, um dann in die U-Bahn umzusteigen und zur Hauptwache zu kommen. Als sie in der U-Bahn sitzt, sind die Büchertaschen noch da, aber irgendwas … fehlt.

 

 

Die Handtasche! Und in der Handtasche befinden sich ihre Geldbörse mit Versicherungskarten, Ausweis, Bahncard, Kreditkarten und 300,- Euro Bargeld. Das Handy ist auch noch drin, sodass sie nicht hat bei der Bank anrufen und die Karten sperren lassen können. Es ist Samstagnachmittag und die Banken haben zu. Suse probiert es mit meinem Handy über die Sperrnotrufnummer. Sie diktiert geduldig ihre Kontonummern in den Hörer, ermuntert von einer Automatenstimme, die am Ende jeder Eingabe sagt: „Es tut mir leid, ich habe Sie nicht verstanden.“ Es ist vergeblich. Unsere nächste Station: Die Polizei in der B-Ebene an der Hauptwache. Zwei junge Polizisten raten uns, auf den Button der Notrufsäule zu klicken und dort unser Problem zu schildern. Die Mitarbeiter der Zentrale für alle S- und U-Bahnen würden dann den Fahrer der 18 direkt fragen, ob eine Handtasche noch in seinem Wagen läge. Ergebnis: Keine Tasche in der 18. Inzwischen liegen Suses Nerven blank. Wir fahren zu ihr nach Hause, um dort auf einen Anruf zu warten. Den Hausschlüssel hat Suse noch – ein Wunder, dass sie ihn ausnahmsweise in die Hosentasche steckte.

 

Beim Teetrinken kehrt Suses Optimismus zurück. „Weißt du was, wir pendeln jetzt, ob ich meine Handtasche wiederkriege“, ruft sie und holt ihr Pendel herbei. Minutenlang lässt sie es leicht vor- und zurückschwingen. Dann die Erleuchtung: „Ich glaube, ich werde meine Handtasche wiederbekommen!“ Etwa fünf Minuten später klingelt das Festnetztelefon. Suse reißt den Hörer vom Apparat. Einige Sekunden lang gespannte Stille – dann ein Jubelschrei: „Die Handtasche wurde bei der Polizei abgegeben. Sie liegt auf der Polizeistation im Mertonviertel – und es ist alles noch drin! Sogar das Geld!“  Unsere Freude ist grenzenlos. Auf der Polizeistation im Mertonviertel bekommt Suse ihre Handtasche wieder. Der Finder, ein türkischer Mitbürger, ist nicht mehr dort und Suse ruft ihn später an, um sich zu bedanken und ihm einen großzügigen Finderlohn zukommen zu lassen. Sie berichtet: Der ältere Mann habe mit seiner Familie in der 18 die Handtasche gefunden. Sie hätten entschieden, sie bei der nächsten Polizei abzugeben. Der Mann wollte partout keinen Finderlohn annehmen.  – Diese Geschichte ist ein hohes Lob auf den ehrlichen Finder in einer großen Stadt, in der es genug Leute gegeben hätte,  die den Inhalt der Tasche gerne verbraten hätten. Und sie soll allen Mut machen, die etwas verloren haben, denn: Manche Dinge kommen wieder zu uns zurück, solange es nette Menschen gibt.

 

Von Dorothee für Suse